„Erfinden aus der musikalischen Praxis“

Birgitta Lutz kam vor 40 Jahren nach Kirchheim und beeinflusst seither die Musik in der Region
„Die Arbeit ist für mich eine Zuflucht in der unruhigen Welt“
Von Roland Happersberger

40 Jahre ist es her, dass eine Künstlerin von München nach Kirchheim kam, die seither das kulturelle Leben an der Unterhaardt und darüber hinaus in mannigfaltiger Weise geprägt hat: die Pianistin Birgitta Lutz, Absolventin der Meisterklasse an der Münchner Musikhochschule, die ihrem Ehemann Gerd Steiner folgte, den seine berufliche Laufbahn in die Pfalz geführt hatte. Und sie blieb, obwohl ihr München ein verlockendes Angebot machte.

„Wir waren gerade ein Jahr in Kirchheim, da kam ein Ruf für eine Assistentenstelle an der Münchner Hochschule“, berichtet die Pianistin. Was tun? „Ich habe schweren Herzens, aber im Hinblick auf meine kleine Familie, die mir wichtiger war, abgesagt. Damit war unser Dorfleben endgültig besiegelt. Ich hab’ es nie bereut.“In Kirchheims Oberem Waldweg fand die junge Familie – Sohn Guido ist längst erwachsen – ein passendes Haus, in dem der Flügel bald kaum noch Ruhe fand: Es begann mit musikalischer Früherziehung in der Kirchheimer Schule. Das führte manches Schulkind wie von selbst an ihr Klavier, außerdem stellte damals – eine Musikschule gab es noch nicht – die hochbetagte Grünstadter Pianistin Emilie Schmitt ihre Unterrichtstätigkeit ein, so dass etliche ihrer begabten Schülerinnen und Schüler zu Birgitta Lutz wechselten. „Damals sind in Kirchheim viele Klaviere angeschafft worden“, fasst sie zusammen. Es gab Schülerkonzerte in der Aula des Grünstadter Gymnasiums, höchst unterhaltsam mit Spielszenen und kabarettistischen Einlagen, die das lokale Kulturleben glossierten, etwa die seinerzeit für viel Gesprächsstoff sorgenden Unwägbarkeiten bei der Anschaffung eines städtischen Konzertflügels.

Im Grünstadter Kulturverein fiel Birgitta Lutz zunächst wie von selbst die Nachfolge der Vereinsgründerin Emilie Schmitt als häufig konzertierende Pianistin zu, es gab – noch in der alten Stadthalle – denkwürdige Liszt-Abende und – zum 20-jährigen Jubiläum der Künstlerin in der Pfalz – ein wunderschönes Konzert mit dem Münchener Kammerorchester unter Hans Stadlmair, in dem Birgitta Lutz ungemein beschwingt ein Mozart-Konzert spielte. Vielfältige Konzerte in der ganzen Pfalz, beispielsweise auf dem Hambacher Schloss, folgten, aber auch Einladungen, Schuberts Wanderer-Fantasie im Münchner Gasteig-Konzertsaal, Mussorgskys Bilder einer Ausstellung in Moskau oder in Beethovens Tripelkonzert in Neustadt zu spielen. Sie legte sehr eindringlich gespielte Musik von Franz Liszt auf Langspielplatte in einer Zeit vor, in der dieser Komponist noch eher verachtet wurde, sie gab fortgeschrittenen Amateuren pianistische Ferienkurse in der Schweiz, wies in der Grünstadter Akademie für meditative Lebensbetrachtung Kursteilnehmern den Weg zur kreativen Befreiung und macht begabte junge Pianisten wettbewerbsfit. Musikalisch umkreist Birgitta Lutz temperamentvoll immer wieder die Musik der Romantik – „weil die meinem eigenen Naturell besonders entgegen kommt“, besonders die Kompositionen Robert Schumanns.

Längst begnügt sie sich indes nicht damit, nur die musikalischen Gedanken anderer zu interpretieren und pädagogisch zu vermitteln – zur Pianistin gesellte sich die Komponistin. 2001 entstanden 18 Lieder nach Texten von Rainer Maria Rilke, seither Klavierstücke und Kompositionen für verschiedene Besetzungen. „Es ist die Freude am Erfinden aus der Praxis für die Praxis. Das macht mir zeitweise wesentlich mehr Spaß als das Üben. Die Einfälle sind nicht das Problem, ich lasse mich überraschen, wohin mich die Komposition treibt. Die eigentliche Arbeit ist dann, der Komposition eine Struktur zu geben.“ Sie habe dabei als Interpretin viel gelernt. Etwa, dass man manches, was zur Musik gehört, mit Notenschrift gar nicht ausdrücken kann, so dass in jeder niedergeschriebenen Musik mehr Möglichkeiten lägen, als das eine doch recht dogmatische akademische Ausbildung für möglich halte.

Birgitta Lutz hat in ihrer Musik keine gattungsspezifischen Berührungsängste.„Rendezvous in E und U für zwei Klaviere“ ist eines der Stücke – wie so oft – amüsant und vieldeutig überschrieben. Ihre Musik nimmt die Tradition auf, in der sie als Interpretin lebt, und führt sie ins Heute weiter, baut jazzige Rhythmen ein, verlässt die tonale Bezogenheit nicht. Was sie schreibt, ist durchaus attraktiv zu hören, abwechslungsreich und originell.

An Projekten fehlt es nach 40 Jahren in der Pfalz nicht: vom 24. bis 26. Juni die Schumann-Tage in Freinsheim auf Einladung des Kulturvereins der Verbandsgemeinde Freinsheim. Am 17. April führt sie mit der Ebertsheimer Sopranistin Ute Kreidler unter anderem einige ihrer Lieder im Mußbacher Herrenhof auf. Von 14. bis 21. Mai gibt sie einen Klavierkurs für ambitionierte, fortgeschrittene Amateure in Kirchheim und Grünstadt, und am 10. Januar spielt Birgitta Lutz in Grünstadt zu Gunsten der Flüchtlingshilfe. Außerdem gibt es Birgitta Lutz zum Zuhausehören: eine Querschnitts-CD ist gerade fertig geworden. Sie soll, so die Künstlerin, auch Zeugnis davon ablegen, dass der Sinn der Musik nicht in Perfektion und Karriere liegt, sondern in beglückender menschlicher Kommunikation. „Musik und die Arbeit mit Musikern, ob jung oder älter, ist für mich auch eine Zuflucht in dieser unruhigen Welt.“